Petra Reski beim Leutesdorfer Kreis


Petra Reski - Journalistin und freie Autorin, 1958 geboren, hat ermländische und schlesische Wurzeln - liest aus ihrem Buch „Ein Land so weit“.

Leutesdorfer Kreis in der Ermlandfamilie

Ein Land so weit

Von Vera-Maria Stoll

Die diesjährige Tagung in Unkel vom 6. bis 8. November 2009 hatte das Thema „Erzähl mir deine Geschichte“. Froh gelaunt trafen die Ermländer im Pax-Heim in Unkel ein, wo sie herzlich von Margret und Karl-Heinz Dormann empfangen wurden.

Am Abend, nachdem Margret Dormann alle Teilnehmer begrüßte, stellte Dietrich Kretschmann in einer Meditation die Kreuzwegstationen in der Don-Bosco-Kapelle in Helle von der Königsberger Künstlerin Ursula Koschinsky vor. Der Abend ging mit einem Begegnungsabend zu Ende.

Der Samstagmorgen stand unter dem Thema „Gestalten und Entdecken“. Es gab vier Gruppen. Eine Gruppe unternahm eine Wanderung mit Siegfried Hoppe in Unkel. Eine andere Gruppe sang mit Erwin Kilanowski bekannte und unbekannte Lieder. Ein neues Lied z. B. hieß „Stand ein Birkenbaum“. Christel Hoppe unterstützte wie immer mit Rat und Tat ihre Aquarellgruppe. Diese erhielt Material und malte ostpreußische und andere Motive. Arnold Margenfeld erarbeitete mit seiner Gruppe die Texte der Sonntagmesse. Lesung und Evangelium wurden von verschiedenen Teilnehmern gelesen. Anschließend wurde überlegt, welche Bedeutung die Textaussagen heute haben.

Nach dem Stehkaffee am Nachmittag brachte Arnold Margenfeld alle mit chinesischen Bewegungsübungen (Qigong) in Schwung. Renate Perk warb für das Päpstliche Missionswerk der ermländischen Frauen. Erwin Kilanowski stimmte mit uns Lieder an. Herr Wischnat trug seine Gedichte „Stege“ und „Großvaters Heimat“ vor.

Gespannt warteten wir auf die Lesung von Frau Reski. Die Journalistin und freie Autorin, in Kamen (Ruhrgebiet) 1958 geboren, hat ermländische und schlesische Wurzeln. Sie las aus ihrem Buch „Ein Land so weit“, in dem sie sich mit der ermländischen Großfamilie befasst, aus der ihr früh verstorbener Vater stammt. Das Buch ist der Großmutter gewidmet, welche die Großfamilie unerbittlich zusammen hält. Sie erzählt von ihren Erlebnissen und Beobachtungen aus der Kinder- und Erwachsenenperspektive. Sie schreibt einfühlsam und humorvoll. Beim Vorlesen kann sie die Sprachmelodie, die Sprechweise der Großmutter und Verwandten mit dem rollenden „R“ und Wörter mit „Ü“ und „Ö“ wiedergeben. (Für uns Zuhörer auch vertraut.)

Die Autorin lernte verschiedene Bezeichnungen für die Herkunftsregion. Die Großmutter sprach von „Heimat“, ihre schlesische Mutter von „Bei uns zu Hause“. Frau Reski erlebte Heimat als „verloren gegangen“. Ausführlich gibt sie die Feste ihrer Familie wieder, die nach festen Regeln abliefen. Am Ende der Feste mit Gesang, Spielen u.s.w. wurde die Familie traurig. Man sang das Ostpreußenlied, redete über die Flucht und Ostpreußen und weinte.

Frau Reski las vor, was „Flucht“ für sie als kleines Mädchen bedeutete. „Ich war überzeugt, dass man als Flüchtling bereits auf die Welt kommt. Man wächst heran und dann ist es soweit, ob man will oder nicht.“ (Buch S. 149) Sie konnte sich nichts Fassbares darunter vorstellen. Auch Verlusterlebnisse stellte sie dar, man hatte in der Familie fast keine Erinnerungsstücke, z.B. nur die Bernsteinkette der Großmutter. Das Mädchen war schockiert, als es bei seiner Freundin auf dem Dachboden Möbel aus drei Generationen sah. Es hörte von der Familie immer wieder: „Wir haben doch alles verloren.“

Frau Reski zweifelte an den Erzählungen ihrer Familie, glaubte nicht an den Wahrheitsgehalt. Sie war von lauter Misstrauen erfüllt gegenüber der Heimat. Ihre Auffassung und Haltung wurde zunächst von der Schule und später von der Politik beeinflusst. Die ostpreußischen Ortsnamen sprach sie unbeirrt polnisch aus. Sie war skeptisch, wenn der Großvater von der „Ostpreußischen Schweiz“ sprach, die es in der Heimat gab, fand die Bewunderung des Bernsteins als „Gold der Ostsee“ übertrieben.

Nach einem Interview mit Lech Walesa in Danzig, als er noch Arbeiterführer war, entschließt sie sich spontan, mit der polnischen Begleiterin nach Reußen, in das Dorf ihres Vaters und ihrer Großeltern zu fahren. Die Begegnung mit dem Dorf und den dort verbliebenen Deutschen bringt eine Wendung in ihrer Meinung zur Heimat.

Unerwartet und für sie sehr bewegend ist die erste Begegnung mit einer Deutschen in Reußen, die sie anspricht, ob sie ihre Großeltern kennen würde. Als die Frau dies bejaht in der Mundart ihrer Großmutter, wird sie von Emotionen überwältigt. Frau Reski bleibt mehrere Tage in Reußen und dringt durch die Schilderungen der Erlebnisse von verschiedenen deutschen Frauen und den Beobachtungen im Dorf mehr und mehr in die Vergangenheit ihrer Familie und in die Gegenwart des Dorfes ein. „Immer, wenn ich die Namen meiner Großeltern ausspreche, fühle ich mich, als begegnete ich einem früheren Leben. Als würde ich die Frauen schon lange kennen, als würde ich dazu gehören“ (S. 86). Neben den Schilderungen aus dem Dorf lässt die Autorin den Hörer/Leser an ihrer Begeisterung über die ostpreußische Landschaft und an ihrer Faszination über das Licht und den Himmel teilhaben. Wir Zuhörer zeigten uns beeindruckt von der Lesung.

Der Samstagabend wurde traditionsgemäß in geselliger Runde zugebracht, bei Gesprächen, Liedern, Getränken und Knabberzeug.

Am Sonntagmorgen gewährte Frau Reski Einblick in die Schreibwerkstatt. Zunächst bekundeten einige Teilnehmer ihr Interesse an dem Buch, das Frau Reski über die Mafia vertasst hat. Nach einigen Aussagen dazu stand das Zustandekommen des Buches „Ein Land so weit“ im Mittelpunkt. Herr Wischnat hatte mit Anderen Fragen gesammelt, zu denen z. B. folgende gehörten: „Wie komme ich ans Schreiben? Hat man Vorbilder für das Schreiben? Wie ist der Titel des vorliegenden Buches entstanden? Frau Reski erklärte, dass das Schreiben ihr nicht in die Wiege gelegt worden sei. Sie habe Interesse an Beobachtung und Psychologie. Als Vorbild habe sie den autographisch schreibenden Schriftsteller Joseph Roth. Von den von ihr vorgeschlagenen Titeln hat der Verleger „Ein Land so weit“ ausgesucht. Die Intention ihres Buches ist, ihren Erkenntnisprozess über die Flucht und den Verlust der Heimat literarisch zu verarbeiten. Vom hartherzigen Kind sei sie zur verständnisvollen Erwachsenen geworden.

Zum Schreiben der eigenen Geschichte gab die Autorin mehrere Hinweise: Man schreibt zunächst nur für sich selbst, man ist der eigenen Wahrhaftigkeit verpflichtet. Man muss ein gewisses Alter erreicht haben, um von vergangenen schrecklichen Erfahrungen erzählen zu können. Nicht chronologisch schreiben, eigene Gefühle darstellen, Sinneseindrücke wiedergeben. Literatur soll Lachen und Weinen auslösen. Sich nicht daran stören, dass Personen mit gemeinsamen Schicksal verschieden darüber berichten. Bevor Frau Reski mit Anerkennung und Beifall verabschiedet wurde, hat sie ihre Bücher signiert, die Dietrich Kretschmann mitgebracht hatte und von uns erworben wurden.

Die heilige Messe feierte Arnold Margenfeld mit uns in der Pfarrkirche St. Pantaleon. Anhand der Lesung von der Witwe von Sarepta (1. Buch der Könige 17, 10-16) und dem Evangelium von dem Opfer der armen Witwe (Mk 12, 38-44 ) entfaltete er den Gedanken von Gerhard Matern „Das Maß unseres Erbarmens mit dem Nächsten wird das Maß des Erbarmens mit uns sein.“

Nach dem Mittagessen erfolgte der Rückblick und der planende Ausblick auf das Jahr 2010; Hermann Wischnat las aus seinem Werk „Stege“ den Text „Defizit“. Dietrich Kretschmann wies auf die Ermlandbriefe Ausgabe Pfingsten 2001 hin, in dem Bernd Napolowski bereits auf das Buch „Ein Land so weit“ aufmerksam gemacht hatte. Er bat um Texte für das Ermlandbuch 2011, das er redigieren wird. Als Thema für das Treffen vom 5. bis 7. November 2010 in Unkel wurde gewählt: „Ihr sollt ein Segen sein.“ (Bibel-Teilen)

Allen Organisatoren und Mitwirkenden dieser gelungenen Tagung wurde herzlich gedankt. Das Lied. „Möge uns die Straße zusammenführen“ sprach unseren Wunsch nach einem Wiedersehen aus.


Download: RTF-Datei   PDF-Datei


zurück

zum Anfang